Reisetagebuch: Toliara und Mangily

Maeva* ist Praktikantin bei ADES und aktuell daran, in Madagaskar ihre Masterarbeit zu schreiben. Sie gibt uns Einblicke in ihre Erfahrungen.

Madagaskar ist einfach zeitlos. Wohin man auch schaut, in welcher Stadt auch, es ist ein Gemisch aus bunten Farben, alten, zum Teil fast auseinanderfallenden Autos. Die Leute tragen Hüte, überall gibt es kleine Stände vom Street Food bis zum Smartphone, man legt Wert auf Höflichkeit, es gibt noch immer sehr klare Hierarchien, und Häuser und Hütten aus jedem möglichen Material. Man zahlt am häufigsten noch immer bar, vor allem unterwegs, ich sehe viele Klapp-Handys (so Nokia-Knochen), und nur wenige Stromkabel.

Und dann gibt es natürlich den Verkehr und die Strassen. Ich habe seit meiner Ankunft noch kein einziges Rotlicht gesehen, ich bezweifle auch, dass man sich daran halten würde, so wagemutig wie sich hier alle gleichzeitig auf die Kreuzung stürzen. Was aber am schönsten ist: Die Fussgänger dominieren den Verkehr. Weniger in Tana, aber jetzt sind wir in Toliara angekommen, eine grosse Stadt im Süden, wo man ständig Acht geben muss als Autofahrer (meist kommt man etwas schneller als im Schritttempo voran) ist das Hauptverkehrsmittel das Pousse-pousse (Velo-Rikschas). Obwohl es Trottoirs gibt, sind diese häufig zugestellt: Pfosten stehen mittendrin, Wasserlachen oder sonstige Flüssigkeiten laufen darüber hinab, Verkäufer haben ihre Stände darauf aufgebaut, oder Frauen mit Kindern sind entweder in Grüppchen am Diskutieren, oder viele betteln auch und haben sich hier mit einer Decke hingesetzt. So läuft man häufig auf der Strasse, schlängelt sich durch den Verkehr und wird immer wieder von den Pousse-pousse Fahrern überholt. Alles hat einen gemächlichen Fluss, und sogar bei Kreiseln oder grossen Kreuzungen löst sich der drohende Knoten und Stau, meist relativ mühelos und geschmeidig wieder auf. Das Beeindruckendste daran jedoch ist, dass niemand hupt. Es gibt kein aggressives Hup-Konzert, man versucht einfach gemeinsam den Knoten zu lösen. Die, die können, fahren zur Seite oder rückwärts, und machen oft sperrigen Camions Platz. Dabei wird sonst sehr häufig gehupt, hauptsächlich um Fussgänger und Pousse-pousse zu warnen, oder damit sie sich mehr an die Seiten halten.

Bisher gefällt mir Toliara sehr. Man merkt, dass es eine Stadt am Meer ist, denn obwohl der eigentliche Meerzugang an sich eher industriell und zum Teil auch von Mangroven umgeben ist, ist der Boden oft irgendwie sandig, viele frische Meerestiere werden angeboten, und es ist bedeutend wärmer als im Hochland. Als wir nach unserem Flug um 5 Uhr morgens so gegen 7 in Toliara landen, ist es sonnig und warm. Nachdem wir erst mit einem Karenji, dem lokalen sehr coolen madagassischen Auto, abgeholt wurden und uns im Hotel einrichten konnten, laufen Luc und ich zum Büro von ADES hier in Toliara. Auf dem Weg hin fallen wir beide schon sehr auf, beide eher bleich vom Schweizer Winter und Tana’s bedecktem Himmel.  Ziemlich viele drehen sich nach uns Vazah’s, die zu Fuss unterwegs sind, um. Ich höre einige „eeh Princesse“, und Luc dreht sich mehrmals strahlend zu ihnen um und bedankt sich für das Kompliment. So grinsen alle, und wir kommen nach guten 20 Minuten schon leicht verschwitzt im Büro an. Hier in Toliara befindet sich die Direction Nationale, und neben verschiedenen administrativen Departements, IT und Finanzen, ist hier auch das Testlabor und die Werkstatt zur Herstellung verschiedener Kocher (Solar, wie auch Lehm). Als wir angekommen sind, staune ich nicht schlecht! Das Zentrum ist wunderschön, voller Pflanzen, Gebäuden mit warmen Farben, einem grossen Platz mit einem Basketballkorb in ADES Farben, grossen Containern, in denen sich das Lager befindet, und offenen hellen Werkstätten für das Metall- und Holz-Atelier. Die Begrüssungsrunde ist auch ausgiebig und alle sind wahnsinnig freundlich. Angelphine (welche hier auch verantwortlich für Besuche von Touristen und das Sekretariat ist) macht mit uns eine Tour, und wir dürfen überall hineinschauen. Am meisten gefällt mir Fara, die Köchin, welche gefühlt alles  auf den Solar- oder den energiesparenden Kochern zubereiten kann!

Die erste Ankunft in Toliara war kurz. Wir kamen am Donnerstag an, und schon am Wochenende fuhren Luc und ich von Freitagabend bis Sonntagnachmittag nach Mangily, ein kleines Örtchen, das etwa eine Stunde entfernt am Meer liegt. Das Wasser war wirklich Badewannen-Temperatur, und der Strand wunderschön! Auch war es toll, die Pirogen zu beobachten, die kamen und gingen, entweder für Ausflüge mit Touristen oder zum Fischen. Dann kamen sie jeweils zurück mit riesigen Langusten in schillernden türkis- und orangefarbenen Tönen, und Fühlern, die an den Seiten fast so etwas wie Dornen hatten und etwa so lang wie mein Arm waren.

Was man schnell bemerkt, ist die aus einem Seil gemachte Abgrenzung, die den Strand zwischen Hotel und Meer in zwei Hälften unterteilt. Die Seite des Hotels ist reserviert für Hotelgäste und markiert auch den Bereich, in dem die ganzen Verkäuferinnen von Tüchern, Zöpfen, Gesichtsmasken und Massagen sowie Kinder, die Halsketten, Holztiere oder Muscheln anbieten, oder die Fischer, die Pirogenfahrten oder Langusten oder Kokosnüsse anpreisen, nicht überschreiten dürfen. Es ist schon etwas komisch. Auch wird man natürlich dennoch immer gefragt, und sobald man erspäht wird, geht es auch schon los. Am Anfang war ich mir nicht ganz sicher, ob ich mich einfach auf der oberen Seite der Schnur im Bikini auf einen Liegestuhl legen sollte, während auf der anderen Seite vier Kinder stehen, immer „Madame“ rufen, oder die Frauen, die in der grellen Sonne sitzen, auch immer den Augenkontakt suchen. Schliesslich bin ich dann an der Schnur vorbei zum Meer gegangen, um Muscheln zu suchen, die Füsse ins Wasser zu tauchen und spazieren zu gehen. Es dauerte nicht lange, bis ich von Kindern umringt war. Nach einigem Hin und Her konnte ich sie etwas vom Verkauf ablenken, indem wir anfingen, Krebse und Fische zu suchen, sie mir etwas Madagassisch beibrachten, und im Verlauf der nächsten Tage gingen wir Baden, spielten Ninja, bauten Sandmeerjungfrauen und winkten einander schon von weitem zu.

Nachdem wir Ninja gespielt hatten, was übrigens nur halbwegs funktionierte, da sobald eines der Kinder ein anderes erwischt hatte und ihm die Hand schlagen konnte, schlug das andere Kind häufig einfach direkt zurück. Das verfehlte den Sinn des Spiels komplett. Dafür riefen sie mir von da an immer „Ninja“ zu, was zu einigen sehr verwirrten und amüsierten Blicken anderer Verkäufer und Touristen führte. Das Feilschen und das kontinuierliche Angebot verschwanden nie ganz, aber immerhin gab es jetzt eine abwechslungsreichere Begegnung. Einer der Jungs, Arno, hatte irgendwann genug von den anderen, die mir immer noch Dinge verkaufen wollten, so dass er begann, sie direkt zu unterbrechen und ihnen zu erklären, dass sie es lassen sollen bei mir. Alles in allem waren es wunderschöne Tage in Mangily, und es tat gut, kurz auch anders in Madagaskar anzukommen.

Zurück in Toliara laufen wir jeden Morgen zum ADES Zenttrum, arbeiten im Konferenzraum und laufen jeden Abend wieder zurück. Irgendwann habe ich das Wort für „spazieren“ auf Madagassisch entdeckt, und wenn uns jetzt Pousse-pousse Fahrer nachrufen, ob wir eine Fahrt brauchen, antworte ich: „tsia (nein), zangazanga!“ Im Verlauf der Woche finden wir heraus, dass das Essen im Moringa Hotel, wo wir bleiben, leider wirklich nicht zu empfehlen ist. Ebenfalls hatte ich anfangs noch keine Lösung für das Mittagessen gefunden, da entweder hier fast alle nach Hause gehen, etwas dabei haben oder, wie Luc, nicht essen. An den ersten zwei Tagen bin ich etwas durchs Quartier gelaufen und habe mir an einem Stand gekochten Maniok gekauft – der entweder enorm lecker war – oder ich enorm hungrig. Dabei lernte ich Charline und ihre kleine Schwester kennen, die hinter der blauen Tür, einige Meter vom Eingang von ADES, wohnen. Sie ist gleichzeitig wie ich losgegangen, um Maniok zu kaufen, also habe ich mich ihr kurzerhand angeschlossen. Daraus ergaben sich immer wieder kleinere Begegnungen und zum Schluss sogar einen wahnsinnig süssen Brief, und ich freue mich, sie wiederzusehen, wenn ich im Juni erneut nach Toliara reise. Aber zurück zur Frage des Mittagessens: Wie ich nach meiner zweiten Maniok-Mahlzeit schnell merkte, war das für meinen Vazah-Magen auf Dauer doch nicht ganz so empfehlenswert. Doch ich hatte Glück: Am dritten Tag erbarmte sich mir Fara. Ich traf sie, als sie das „znüni“ für die Arbeiter kochte, und fragte sie, ob ich, falls etwas übrig bliebe, etwas davon haben könnte. Von da an reservierte sie mir jeden Mittag einen Teller mit entweder noch etwas Vary bred (Reis in Wasser mit Gemüse), Teigwaren, gebratenen Kartoffelbällchen (oder so) und einmal sogar auf dem Parabol-Solarkocher frisch gebratene Zébu-Spiesschen!

* Name geändert

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