Reisetagebuch, 9. Teil: Diego Suarez und Rückkehr nach Tana
Maeva* ist Praktikantin bei ADES und aktuell daran, in Madagaskar ihre Masterarbeit zu schreiben. Sie gibt uns Einblicke in ihre Erfahrungen.
Diego, auch Antsiranana genannt, ist eine farbenfrohe, muntere, lebendige und charmante Grossstadt. Die Bucht von Diego Suarez ist die zweitgrösste nach Rio und besitzt sogar einen sehr ähnlichen Zuckerhut (Insel). Schon bei meinem ersten Erkunden denke ich mir: «Doch, hier würde ich herziehen». Es hat etwas durchmischtes, modernes und doch historisches mit den verwitterten, manchmal farbig angemalten Gebäuden. Ich fühle mich sicher, frei herumzulaufen und mehr als Teil des Ganzen. Man merkt, dass hier bedeutend mehr Touristen durchkommen, entweder um weiter nach Nosy Be oder zu den verschiedenen Buchten, den Tsingy und den Nationalparks, zu reisen. Das Hauptverkehrsmittel hier ist das Bajaj (Tuktuk). An der Hauptstrasse, der Rue Colbert, kann man gut an verschiedenen Bars, Restaurants, Schmuck- und T-Shirt-Läden entlanglaufen. Was mir auch leider sehr schnell auffällt: Fast alle Vazahas, die auf den Terrassen vor den Bars oder Boulangeries sitzen, sind alte weisse Männer in Begleitung junger schöner Madagassinnen. Ich glaube schon, dass es hier einige mehr hat, denn es fällt schon besonders auf. Und es ist einer der Eindrücke, die von der Stadt zurückbleiben.
Elia und ich haben noch zwei gemeinsame Tage hier, bevor sie sich wieder auf den Weg zurück macht und ich in Diego bleibe. Wir gehen im hiesigen ADES-Büro vorbei und treffen dort Omega, welche uns zu weiteren Besuchen bei Wiederverkäufern und Kochernutzern mitnimmt. Auch hier mache ich sehr spannende Begegnungen: Jaquis, der Tanzlehrer, der bei ADES als Wiederverkäufer arbeitet, sowie Monsieur Rakotoa Arnaio Edmond, ein Kochernutzer: Der erste Mann, dem ich begegne, der zu Hause hauptsächlich kocht und den Haushalt schmeisst. Monsieur Edmond ist Pfadfinder. Dort hat er gelernt, dass jede Aktivität zu Hause und in der Vorbereitung anfängt. Er ist auch einer der wenigen, die im Gespräch erzählen, dass er den ADES-Kocher auch nutzt, weil er die Umwelt schützen möchte.
In weiteren Gesprächen stellt sich heraus, dass für viele gerade jetzt der ADES Kocher eine wichtige Rolle spielt: Dadurch, dass der Zyklon, der vor ein, zwei Monaten viele Brücken zerstört hat, sind Lebensmittel und andere primäre Produkte teurer geworden. Der Kocher spart bis zu 50 Prozent an Kohle, und so sparen viele Haushalte an Ausgaben und können sich die Lebensmittel trotz Preiserhöhung noch immer leisten.
An unserem letzten gemeinsamen Abend gehen Elia und ich im Restaurant „La Cambuse“ essen. Es ist komplett zum Thema Piraten, vor allem nach Captain Jack Sparrow und Captain Barbossa, gestaltet! Ich bin hin und weg von der Einrichtung und Elia vom Schoggi-Mousse, welches sie mit mir entdeckt hat. Auch generell schmeckt das Essen ausgezeichnet zu sehr fairen Preisen.
Als Elia abgereist ist und ich alleine durch die Stadt laufe, werde ich zum ersten Mal seit Tana wieder um Geld gefragt. Ich laufe weiter durch die Stadt, diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Ich setze mich schliesslich auf einem Platz auf eine Bank und geniesse es einfach, ein bisschen dem Treiben zuzuschauen. Es folgte eine relativ lustige Interaktion: Ein Typ setzte sich neben mich. Er fing an mit dem üblichen „Bonjour, ça va?“ Ich antwortete, ging allerdings nicht weiter darauf ein, und dann waren glücklicherweise seine Französischkenntnisse zu Ende. Es war eine Weile ruhig und ich dachte, so cool, das war’s jetzt, ich kann jetzt in Ruhe noch eine Weile hier weiter sitzen bleiben, bevor ich weiterlaufe – doch dann… fing der Typ an zu singen. Also nicht jetzt irgendwie gross oder spektakulär, er fing einfach neben mir an zu singen. Die ganze Situation war so merkwürdig und absurd, das ist mir wirklich noch nie passiert. Ich musste so grinsen, worauf er anfing, auf Madagassisch mit mir zu plaudern. Ich antwortete auf Berndeutsch und so „unterhielten“ wir uns eine Weile. Mit meinen wenigen Madagassischkenntnissen fand ich doch irgendwie heraus, dass er im siebten Bataillon ist, gerade Mittagspause macht und sich alle zwei Wochen die Haare schneiden muss, damit sie so kurz bleiben. Schliesslich stand ich doch irgendwann auf, verabschiedete mich und spazierte nach Hause. Aber hey, wann hat das letzte Mal jemand bei einer ersten Interaktion für euch gesungen?
Übers kommende Wochenende fuhr ich in die Sakalava-Bucht. Damit kam ich von der Welt der gestopften Taxi-Brousse-Fahrten, kleinen Gargottes mit einem Teller Reis und Bouillon für 2000 Ariary (etwa 40 Rappen), und Frühstück an einem kleinen Strassenstand in die Touri-Welt von Madagaskar. Direkt an den weissen Strand, mit türkisblauem Wasser, bin ich zum ersten Mal seit langem wieder in Gesellschaft von mehr Vazahas als Madagassen. Die Bucht ist seicht und durch den konstanten Wind komplett eingenommen von Kite- und Foil-Surfern. Wirklich wie Drachen sieht es schon sehr schön aus, wie die Kites durch die Bucht tanzen, durch die Luft jagen und immer mal wieder einen Surfer oder eine Surferin bis zu sieben Metern hoch in die Luft tragen, bevor die Wellen die Person wieder auffangen. Ich habe selber zwei Kitesurfstunden genommen und muss sagen, es macht schon enorm Spass! Ich bekomme immer mehr Gefühl für den Kite und lerne, wie den Wind einzufangen, damit es mich in die Richtung zieht, in die ich will, ja, ich bin schon ein wenig angefressen. Aber mal sehen, ob ich das auf den Schweizer Seen fortsetzen werde, vor allem, da es schon viel ausmacht, so lange im Wasser sein zu können, ohne zu kalt zu bekommen oder gross in langärmligen Neopren eingepackt zu sein.
An diesem Wochenende entspannt sich auch endlich mein Schlafrhythmus wieder. Mit Elia die letzten Tage zwar auch schon, aber vorher während des Trecks sind wir immer sehr früh aufgestanden. Als ich mit Luc und Azagen unterwegs war, waren die beiden leidenschaftlichen Frühaufsteher manchmal sogar noch früher auf… Ich bin selbst zwar auch relativ gut im Aufstehen morgens, aber gegen deren gute Laune um sieben Uhr morgens kann ich einstecken. Wegen der beiden war ich nicht nur einmal bereits um acht Uhr im Bett, ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal so früh so bereit war, in die Kissen zu fallen.
Nach meinem Touri-Wochenende verbringe ich noch zwei ruhige Tage in Diego, bevor ich am Mittwoch, dem 29. Mai, wieder in den Flieger nach Tana steige. Als ich im Flugzeug aus dem Fenster schaue und sich die Wolken teilen, sehe ich einen Fluss, der sich wie eine schimmernde Schlange durch das Land windet. Auch die vielen zusammenhängenden Reisfelder glitzern in der Sonne wie Schuppen und sehen sogar von so weit oben wunderschön aus. Neben den trockenen rot-braunen Hügeln und Gebirgen blitzen sie in deren Tälern wie Spiegel hervor. Als das Taxi von der langen Hauptstrasse wieder auf die Pflastersteinstrasse einbiegt, ich das wilde Getümmel beobachte, mich vorsichtig aus dem Auto wage und schnell über die stark befahrene Strasse eile, und mich Mami, der alte Rezeptionist des Hotels, mit einem Lächeln begrüsst, bin ich wieder daheim angekommen.
Die folgenden Tage in Tana vergehen wie im Flug. Gefüllt mit einem Workshop zu Projektmanagement am Donnerstag und meinem Systemik-Workshop am Freitag, bin ich jeweils den ganzen Tag im ADES-Büro, bevor ich abends heimkomme. Es ist schön, auch hier wieder im Büro vorbeizukommen (zum dritten Mal) und die langsam vertrauten Gesichter zu sehen. Diese Tage sind für mich auch ein bisschen ein neues Kennenlernen von Tana. Auf meinen bisherigen Besuchen war es immer etwas ein Übermass an Eindrücken, Konfrontationen, Gerüchen und Wahrnehmungen. Diesmal kann ich alles etwas besser aufnehmen, vielleicht auch besser filtern und bekomme viel mehr Lust, mich dem Getümmel der Strassen auszusetzen, um Tana zu erkunden und fühle mich unternehmenslustiger. Denn Tana bietet enorm viel an, man muss einfach irgendwo anfangen und jetzt bin ich an einem Punkt, wo ich mora mora mich immer mehr gerne darauf einlassen würde. Nur leider bin ich auch diesmal nur insgesamt vier Tage hier und ich muss einige meiner Pläne auf meinen letzten ausstehenden Aufenthalt in Tana verschieben. Denn ich bin jetzt an meinem letzten Monat angekommen. Am Montag, dem 3. Juni, fliege ich wieder nach Toliara, wo ich grösstenteils bleiben werde. Das nächste Mal, wenn ich nach Tana komme, werde ich den Flieger zurück in die Schweiz nehmen. Schon verrückt, dieses Zeitgefühl, wie es sich manchmal ausdehnen oder verkürzen kann. Aber bevor ich jetzt mir selbst vorauseile, geht es jetzt erstmal wieder zurück nach Toliara! Schliesslich bleibt mir noch ein ganzer Monat! Wahnsinn, so ein Glück!
* Name geändert