Reisetagebuch, 8. Teil: Ambilobe
Maeva* ist Praktikantin bei ADES und aktuell daran, in Madagaskar ihre Masterarbeit zu schreiben. Sie gibt uns Einblicke in ihre Erfahrungen.
Nach Sambava reisen Elia und ich weiter nach Ambilobe. Anfangs wussten wir noch nicht genau, wie wir dorthin kommen, da die Strecke lang (zwischen 7 und 10 Stunden) und die Strasse nicht immer die beste ist. Ausserdem ist Elia im vierten Monat schwanger, und ich überlegte mir auch, wie sicher es mit meinem Gepäck war. Schliesslich war der Preis für einen Chauffeur und ein Auto immens hoch (etwa 2 Millionen Ariary) im Vergleich zur Fahrt mit dem lokalen Hauptverkehrsmittel zwischen den Städten, dem Taxi-Brousse (30’000 Ariary – also etwa 6 Franken), dass sich die Entscheidung von selbst fällte.
Zur Erklärung: Ein Taxi-Brousse hier entspricht einem Minivan mit etwa 15 Plätzen. Wie schon im Reiseblog über die Fahrt nach Fianarantsoa erwähnt, unterscheidet sich die Qualität der Taxi-Brousses von Fahrzeug zu Fahrzeug drastisch. Einige wirken einigermassen neu, fahrtüchtig und robust, während die meisten keuchend und hustend über die Pisten holpern und mehr schlecht als recht vorankommen. Wir hatten Glück und landeten anfangs in einem halbwegs neuen Taxi-Brousse, das sogar Stereo und erhöhte Sitze hatte.
Diese Busse fahren jedoch nicht zu einer bestimmten Zeit los, sondern warten so lange, bis sie genügend Passagiere eingesammelt haben, die in die gleiche Richtung wollen, damit es sich für sie wirtschaftlich lohnt. Es kann also vorkommen, dass man erst noch mehrere Stunden im Taxi-Brousse am Ausgangspunkt sitzen bleibt, bevor es überhaupt losgeht. Wir hatten zwar Glück, dass wir relativ zügig losfuhren, allerdings änderte der Chauffeur nach etwa der Hälfte der morgendlichen Strecke seine Meinung, weil er dachte, dass es sich doch nicht lohnen würde, weiter in diese Richtung zu fahren. So wurden wir in ein wesentlich kleineres, engeres Taxi-Brousse umgesetzt, das halb so schnell fuhr, aber dafür nur einen Pannenstopp hatte.
Das wichtigste Detail der Taxi-Brousses ist die Belegung. Denn wie gesagt, eigentlich hat dieses Fahrzeug um die 15 Sitze. Wir fuhren zu 28st! Immer wenn ich dachte, jetzt passt wirklich niemand mehr rein, hielt der Fahrer erneut an und es quetschte sich noch jemand zu uns. Mittlerweile sassen in jeder Reihe mindestens 5 Menschen, dazu noch Kinder auf den Knien und zum Teil halb aufeinander. Morgens hatte ich noch Glück und konnte vorne neben dem Fahrer sitzen, wo es wesentlich weniger eng ist. Einmal kam uns ein Taxi-Brousse entgegen, das vorne auf dem Dach eine Ziege befestigt hatte. Die Ziege sass in einem Sack, aber mit freiem Kopf vorne auf dem Auto und hatte zweifellos die beste Sicht sowie die beste Lage. Ich war definitiv versucht, mit ihr zu tauschen.
Trotz aller Enge und potenzieller Klaustrophobie genoss ich diese Fahrt sehr. Ich sass am Fenster, schaute hinaus und konnte die vorbeiziehende Landschaft und die Menschen beobachten oder das Geschehen im Wagen verfolgen. Die Menschen schwatzen manchmal miteinander, schlafen, schauen hinaus, gehen ihren Gedanken nach oder telefonieren. Fast niemand ist wirklich am Handy oder hört für sich Musik. Häufig, wenn wir wegen Polizeikontrollen am Anfang und Ende einer Ortschaft (oder weil Leute rauslassen (ufff!) oder zu meinem Schreck wieder aufnehmen) halten, kommen Frauen an die Fenster des Vans und verkaufen Früchte, frittierte Bananen, heisse, frische Maiskolben, gebratenes Hühnchen, Fisch, Nüsse oder Gebäck. Dann gibt es jeweils ein kollektives Picknick im Bus, man reicht ein paar Scheine aus dem Fenster und bekommt einen frisch gebratenen Fisch zurück.
Solche Fahrten schweissen irgendwie zusammen. Man weiss, wer alles zu seinem Taxi-Brousse gehört, wer noch fehlt, auch wenn kaum ein Wort ausgetauscht wurde. An einer weiteren Polizeikontrolle bekam ich halb mit, wie sie spasshalber sagten: Im Notfall geben wir die Vazaha ab… Man sieht also, ich gehörte voll dazu und war ein fester Bestandteil meiner Taxi-Brousse-Gruppe. Ich glaube, das erleichterte uns zwischendurch die Weiterfahrt, da bei diesen Kontrollen sonst die Wagen der Vazahas immer direkt weitergewinkt werden und nur die Taxi-Brousses halten und manchmal eine Ausweiskontrolle machen müssen.
Wie bereits erwähnt reist fast immer mindestens ein Kleinkind, meistens mehrere, mit. Mich erstaunt dabei, dass nur wenige der Kinder je weinen, und wenn, dann nur kurz, bevor sie wieder einschlafen oder einfach herumschauen. Es gibt immer jemanden, der auf sie aufpasst oder ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Im Taxi-Brousse wird ein Kind einfach schnell der Nachbarin auf den Schoss gegeben, damit die Mutter sich besser hinsetzen, etwas aus ihrer Tasche nehmen oder eine Pause machen kann. Man kümmert sich gemeinsam um das Kind, selbstredend und ohne Zweifel. Das finde ich wunderschön.
Schliesslich kommen wir am späten Nachmittag in Ambilobe an. Mein erster Eindruck der Stadt: Sie ist voller Ziegen und gefällt mir sehr! Als wir ankommen, leuchtet die Sonne golden durch die staubigen Strassen. Die Stadt wirkt in die Länge gezogen. Jedenfalls zieht sich die Hauptstrasse länglich und parallel zu einigen Hügeln im Osten der Stadt. Es gibt viele herzige kleine Gargottes und Bars, kleine aber saubere Hotels, einen grossen Markt und viele weitere Stände entlang der Strassen. Auch hier hat man den Eindruck, dass es eher eine Transitstadt ist, aber genau das macht sie für mich sehr charmant und ich fühle mich sehr wohl. Während der drei Tage, die wir hier sind, sehe ich keine andere weisse Person. Ich liebe es, herumzuschauen und mit Elia gemeinsam die Stadt zu erkunden. Und eben, die Stadt ist wirklich voller Ziegen! In 3er- oder 4er-Gruppen spazieren sie genau wie ich durch die Strassen, die kleinen Zicklein kämpfen spielerisch, während sie der Mutter nachlaufen. Es bringt mich zum Lachen, wie immer wieder ein paar Ziegen auftauchen.
Was mir auffällt: Seit Maroansetra läuft mir kein Kind mehr bettelnd nach, fragt nach Geld, Keksen oder sonst etwas. Hier hat man den Kindern noch nicht beigebracht, dass sie die Vazaha’s immer um Geld bitten müssen. Das ändert das Gefühl beim Schlendern durch eine Stadt sehr. Elia und ich haben uns in einem kleinen Hotel niedergelassen und teilen uns ein Zimmer. Es ist sehr gut gelegen und erlaubt uns, immer mal wieder Zwischenstopps einzulegen, um eine kurze Pause zu machen, etwas abzulegen oder zu holen. Neben dem Partnerbesuch, den wir hier machen, haben wir sehr schöne Tage. Morgens frühstücken wir in einem anderen Hotel mit Wifi und arbeiten dazu, dann machen wir eine Pause, essen irgendwo etwas, laufen über den Markt, bevor wir uns am Nachmittag nochmals zum Arbeiten hinsetzen. Wir essen Glacé, gehen am Pfingstmontag zusammen shoppen und kaufen uns beide Khisalis (die farbigen, wunderschönen Tücher, die sich die Frauen hier umbinden). Wir reden über Muttertagsgeschenke, Kinder, Männer, Frauen, über Duschen in Mada oder in der Schweiz, Schönheitsideale, übers Reisen, über unsere Arbeit und übers Essen. Mit Elia unterwegs zu sein erlaubt mir, noch tiefer in Mada einzutauchen. Sie hat für uns die ganze Taxi-Brousse-Reise geplant, verhandelt und herumtelefoniert, damit sie auf uns warten. Sie übersetzt für mich, erklärt mir die madagassischen Sitten und die Meinung der Menschen zur kaputten Brücke und dem Projekt des Präsidenten, den Fluss einfach zuzuschütten. Sie begleitet meine Besuche bei Partnern, Wiederverkaufenden und Kochernutzer:innen und erklärt mir die verschiedenen madagassischen Spezialitäten, die in der Gargotte zur Auswahl stehen. Ich werde sie nach unserem gemeinsamen Reiseabschnitt vermissen.
Die nächste Taxi-Brousse-Fahrt von Ambilobe nach Diego ist leider bei weitem nicht so angenehm wie die erste. Statt 4 Stunden brauchen wir 7. Ich bin die ganze Zeit über so stark in der mittleren Reihe gegen die Autowand gedrückt, dass ich danach einen blauen Fleck an meiner Hüfte habe. Es ist bereits tiefe Nacht, als wir endlich ankommen. Ich bin enorm erleichtert, als ich endlich aus dem Taxi-Brousse klettern kann und der Fahrer mir meinen violetten Rucksack vom Dach reicht. Es war eine spannende und gute Erfahrung, aber so schnell muss ich nicht mehr mit einem Taxi-Brousse reisen.
* Name geändert