Wieso die Technologie uns nicht retten wird

Lou Messerli ist Master-Studentin in Sustainable Societies and Social Change an der Universität Genf. Während zehn Monaten absolviert sie ein Praktikum bei ADES und setzt sich dabei vor allem mit den Themen Wirkungsmessung und Kompetenztransfer auseinander. Für den ADES Blog schreibt sie über Solutionismus: Wieso die Technologie uns nicht retten wird.

„Wenn eine Gesellschaft mit der Erschöpfung ihrer Ressourcen nicht zurechtkommt, betreffen die wirklich interessanten Fragen die Gesellschaft, nicht die Ressource. Welche strukturellen, politischen, ideologischen oder wirtschaftlichen Faktoren in der Gesellschaft haben eine angemessene Reaktion verhindert?“

Dieses Zitat von Joseph A. Tainter, einem amerikanischen Anthropologen und Historiker, wirft die Frage auf, warum wir trotz bedeutender Berichte und jährlicher Klimaanalysen keine proaktiven, präventiven und vor allem, verbindlichen Massnahmen ergreifen, die uns in der Klimapolitik voranbringen? Inmitten der globalen Herausforderungen im Umgang mit dem Klimawandel bietet jedoch die Arbeit der Non-Profit-Organisation ADES in Madagaskar einen ermutigenden Einblick: ADES verfolgt das ehrgeizige Ziel, Umwelt und Lebensräume zu schützen, die Abholzung zu reduzieren und gleichzeitig die Armut zu bekämpfen.

In diesem Blog möchte ich einen wichtigen Faktor herausarbeiten, der meiner Meinung nach unsere kollektive Lethargie gegenüber der klimatischen Herausforderung erklären könnte: das Konzept der relativen Entkopplung. Dieser Begriff bezieht sich auf den Versuch, das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit Hilfe von Technologien vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln (Unmüsssig, Sachs und Fatheuer, 2012). Es handelt sich um eine Fortsetzung des „Business as usual“, wenn auch effizienter und tief verwoben mit der Überzeugung, dass Innovation und Technologie anstelle von staatlichen Verboten und Regulierungen eine wichtige Rolle spielen. Die Arbeit von ADES bildet da einen interessanten Kontrast, da sie sich zwar auch mit technologischer Innovation in Madagaskar einsetzt, allerdings dabei zeigt, dass der wahre Weg zur Nachhaltigkeit mit einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel einhergeht. Während der Solutionismus lediglich auf den Glauben an technologische Allheilmittel setzt und den Herausforderungen und Problemen des Klimawandels ausweicht, verdeutlicht ADES, dass es nicht nur um die Implementierung von Technologie geht, sondern auch um die Integration dieser Lösungen in den sozialen und ökologischen Kontext.

Die Tücken des Techno-Solutionismus und Jevons Paradox
Der Glaube an die Technologie als Heilsbringer, der sogenannte „(Techno-)Solutionismus“, ist die Vorstellung, dass der ständige technische Fortschritt alle Antworten liefert, ohne zu hinterfragen, was das Problem verursacht hat. Es ist die wirtschaftliche Annahme, dass Wachstum und Innovation die Umweltzerstörung ausgleichen können (Morozov, 2013). Dies löst jedoch nicht unsere aktuellen Probleme der Umweltverschmutzung, sie ändert nicht unser Verhalten, unsere Werte oder unseren Konsum. Diese Perspektive ist weder realistisch, nachhaltig, wünschenswert noch im heutigen Kontext machbar. Im Gegenteil, der Techno-Optimismus, der glaubt, dass Innovationen und technologischer Fortschritt automatisch globale Umweltprobleme lösen können, führt zu einer gefährlichen Illusion.

Das Konzept des Jevons-Paradoxon unterstreicht dies: Das Jevons-Paradoxon oder der Rebound-Effekt besagt, dass Effizienzsteigerungen bei der Ressourcennutzung häufig eher zu einem höheren Ressourcenverbrauch als zu einer Einsparung führen. In einem kapitalistischen System werden Effizienzgewinne oft in niedrigere Kosten umgewandelt, was zu erhöhtem Verbrauch und Ressourcenausbeutung führt. Unmüssig et al. behaupten, dass die erste Antwort auf das Erreichen einer absoluten Verringerung des Ressourcenverbrauchs Effizienz ist – durch eine effizientere Nutzung von Materialien und Energie. Ich spreche mich dagegen aus, da das Jevons-Paradoxon und die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt haben, dass dies nicht zu einer geringeren Nutzung der Ressourcen geführt hat. Nehmen wir den Ursprung des Jevons-Paradoxons in Jevons Buch von 1865 als Beispiel: Nach der Einführung von James Watts kohlebefeuerter Dampfmaschine explodierte der Verbrauch von Kohle in England. Watts Innovation machte Kohle zu einer billigeren Energiequelle und führte zu einem Anstieg des Kohleverbrauchs im Verkehrswesen und in anderen Branchen (Jevons, 1866). Effizienzgewinne können zu niedrigeren Preisen führen, was einen erhöhten Verbrauch oder eine regionale Verlagerung von umweltschädlichen Tätigkeiten zur Folge haben kann, wodurch die Vorteile der Dematerialisierung zunichte gemacht werden (Loiseau, 2016). Technologische Verbesserungen sind also notwendig, aber nicht ausreichend, um echte Nachhaltigkeit zu erreichen.

ADES als Gegenentwurf
ADES stellt eine überzeugende Alternative zum Solutionismus dar, indem es nicht nur auf technologische Innovationen setzt, sondern diese in einen umfassenderen Kontext nachhaltiger Entwicklung einbettet. In Madagaskar, einem Land, das von enormem Holzverbrauch geprägt ist, wirkt ADES aktiv gegen die Entwaldung. Durch die Herstellung und Verbreitung von grünen Tonkochern, die den Holzverbrauch um 50 bis 80 Prozent reduzieren, schafft die Organisation nicht nur effiziente Kochmethoden, sondern fördert auch die Erhaltung der Wälder und mindert den Ausstoß von Treibhausgasen. Ades zeigt, dass erfolgreiche Initiativen auf einer tiefen Verbindung mit den Bedürfnissen der Gemeinschaft, lokalen Werten und einem umfassenden Umweltverständnis basieren müssen. Die grünen Tonkocher sind nicht nur eine technologische Lösung, sondern auch ein Instrument zur Verbesserung der Lebensqualität und wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung. ADES hat nicht nur eine über zwei Jahrzehnte währende Präsenz in Madagaskar, sondern auch eine kontinuierliche Expansion, die auf eine wachsende Anzahl von Mitarbeitenden und eine Integration in das madagassische Industriegewerbe hinweist. Die Organisation bemüht sich um den Umweltschutz, wie auch um die Befähigung der lokalen Bevölkerung.

Weitere Herausforderungen und Schlussfolgerung
Es gibt viele Gründe, warum der alleinige Glaube an technologische Lösungen unrealistisch ist, ohne die Gesellschaft verändern zu wollen: Die Idee des Geoengineerings etwa, obwohl technisch möglich, verkörpert die Kurzsichtigkeit technologischer Lösungen und vernachlässigt die Dringlichkeit des Klimawandels. Die Zeit erlaubt es uns nicht auf Innovationen zu warten die es noch nicht gibt. Hinzu kommt, dass die natürlichen Ressourcen unseres Planeten begrenzt sind und dass technologische Fortschritte diese Grenzen nicht aufheben können. Die endliche Verfügbarkeit von Ressourcen in Verbindung mit den negativen Auswirkungen ihrer Gewinnung und Nutzung stellt eine gewaltige Herausforderung für den technikzentrierten Ansatz dar. Aus all diesen Gründen birgt ein techno-solutionistischer Ansatz die Gefahr, die Symptome des Klimawandels zu verschleiern, anstatt die eigentlichen Ursachen zu bekämpfen. Wenn der technologische Fortschritt so genutzt wird wie bisher und wir ihm keine deutlich andere Funktion geben als die des kurzfristigen Wirtschaftswachstums und der weiteren Steigerung des Konsums, werden wir die Lösung der Probleme weiter rigoros in die Zukunft verschieben (Göpel, 2020).

ADES verdeutlicht, dass die Zeit für sofortiges Handeln drängt und technologische Durchbrüche nicht abgewartet werden können. Erfolgreicher Umweltschutz darf nicht nur auf technologischen Fortschritt setzten, sondern auch auf eine tiefe Verbindung mit den Bedürfnissen der Gemeinschaft, nachhaltige Wertschöpfung und langfristige Umweltschutzziele. Mit dem ehrgeizigen Ziel, bis 2030 jährlich bis zu 160.000 Solarkocher und tonbasierte Energiesparkocher zu produzieren und zu vertreiben, setzt ADES auf eine zukunftsweisende Strategie. Durch verstärkte Industrialisierung und die Nutzung nachhaltiger Brennstoffe will die Organisation nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch aktiv zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Der Erfolg von ADES liegt nicht nur in der Technologie selbst, sondern in der ganzheitlichen Herangehensweise, die Umweltschutz, soziale Ermächtigung und wirtschaftlichen Fortschritt miteinander verbindet. Dies steht im klaren Kontrast zu einem reinen Techno-Solutionismus, der den natürlichen und gesellschaftlichen Kontext ausblendet und auf die alleinige Macht technologischer Lösungen setzt.

Quellen:

  • Goodreads, Joseph A. Tainter, Quotes, Accessed 25.10.2023,
    https://www.goodreads.com/author/quotes/20895.Joseph_A_Tainter
  • Loiseau, Eleonore, et al. “Green economy and related concepts : An overview.” Journal of cleaner
    production 139 (2016): 361 – 371
  • Maya Göpel (2020), Unsere Welt neu denken, Ulllstein
  • Morozov Evgeny, (2013) To save everything, click here : the folly of technological solutionism. First
    edition Auflage. New York 2013, ISBN 978-1-61039-138-2.
  • Rockström, Johan, et al. “Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity.”
    Ecology and Society, vol. 14, no. 2, 2009. JSTOR, http://www.jstor.org/stable/26268316.
  • Unmüssig, Barbara, Wolfgang Sachs, and Thomas Fatheuer. „Critique of the green economy.“
    Publication series on ecology. Berlin: Heinrich Böll Foundation (2012).
  • William Stanley Jevons: The Coal Question. Macmillan and Co., London 1866

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